28. März 2024

Kartenverweigerung in Handel und Gastronomie: Wie Bullshit-Bingo bei mir zum Boykott führt!

Ich weiß, dass dieses Thema zu sehr kontroversen Diskussionen führen kann. Daher ein paar Worte vorweg: Ich bin nicht für die Abschaffung des Bargelds, sondern für die Wahlfreiheit des Konsumenten. Persönlich finde ich es auch traurig, wenn immer mehr traditionelle Handwerksbetriebe sterben und ganze Viertel nur noch von Systemgastronomie geprägt sind und man kaum noch erkennen kann, ob man jetzt in München oder Hannover sitzt.

Um so schlimmer finde ich es, wenn sich etablierte Unternehmen mit Händen und Füßen gegen aktuelle Entwicklungen sträuben. Dabei könnten sie neben der Qualität und der Individualität so einfach auch mit Kundenservice glänzen. Stattdessen immer wieder die gleichen Diskussionen mit genervten Kunden und keinerlei Einsehen.

Hier mal ein paar typische Sätze, wie sie tagtäglich überall in Deutschland fallen:

„Deutschland ist nun mal kein Kartenzahlerland“

Falsch: Aktuell befinden sich rund 100 Millionen Debitkarten des Marktführers girocard im Umlauf. Fast jeder Bankkunde erhält sie zusammen mit seinem Konto. Nur die wenigsten benutzen sie ausschließlich zum Bargeldbezug. Der Anteil derer, die auch kleine Beträge mit der girocard bezahlen, steigt langsam aber stetig. Hinzu kommen noch rund 31 Millionen Karten der großen Kreditkartenfirmen.

„Kartenzahlung ist einfach zu teuer“

Interessanterweise hört man den Satz nicht nur von Geschäftsinhabern, sondern auch häufig von Kunden, die sich in einer Art Stockholm-Syndrom mit den Geschäftsinhabern solidarisieren. Gerne greifen diese dann auch in Diskussionen am POS mit diesem Argument mit ein.

Dabei kennen die Gebühren für die Kartenzahlung seit Jahren nur eine Richtung: Nach Unten!

Selbst klassische Zahlungsdienstleister vermieten aktuelle Terminals ab 8€/Monat und bieten die Abwicklung von girocard-Zahlungen für 0,19% vom Umsatz zzgl. 4-8 Cent pro Transaktion an. Häufig gibt es auf die Größe des Unternehmens zugeschnittene Pakete mit Freitransaktionen pro Monat, so dass die Grenzkosten lediglich bei den oben erwähnten 0,19% liegen. Dank der Deckelung der Interchange-Fee durch die EU im Dezember 2015 liegen die Kosten für die Akzeptanz von MasterCard und VISA inzwischen irgendwo knapp unter 1%.

Wer ohne Vertragsbindung einsteigen möchte, der kann sich auch ein Einfachterminal von  iZettle, sumUp oder vergleichbaren Anbietern holen. Hier fallen aber höhere Transaktionsgebühren an.

Während die Kosten für die Kartenakzeptanz sinken, steigen die Kosten des Bargeldhandlings teils immens. Da die Geschäftsbanken nunmehr für die Kosten der Echtheitsprüfung von Münzgeld zuständig sind, geben sie diese Kosten über Kontoführungsgebühren oder Einzahlentgelten an ihre Kunden weiter.

„Kartenzahlung dauert zu lange!“

Auch das ist nur bedingt richtig. Die Verwendung aktueller Terminals für Chip & PIN Transaktionen, Offline-Autorisierung bei der girocard und kontaktlose Zahlung per NFC sind nur ein paar Möglichkeiten, die den Durchlauf an der Kasse erhöhen. Wer nicht gerade Mitarbeiter an der Kasse beschäftigt, die durch die klassische ALDI-Schule gegangen sind, der kann kaum behaupten, dass es mit Bargeld an der Kasse schneller ginge. Viele tun sich schon mit einfachsten Rechenoperationen schwer. Wenn die Kasse da nicht den exakten Rückgeldbetrag anzeigen würde…

„Wir hatten das mal. Das hat nie einer genutzt!“

Ein Händler oder Wirt, der das Terminal irgendwo im Schrank aufbewahrt, keinerlei Akzeptanzaufkleber an Kasse oder Ladentür aufhängt und dessen Mitarbeiter nicht aktiv die Kunden fragen, der darf sich auch nicht wundern.

Während man im Supermarkt oder der Tankstelle als Kunde davon ausgehen kann, dass Kartenzahlung akzeptiert wird, so ist das in anderen Branchen nicht so.

„Wir sind zu klein dazu!“ oder „Kartenzahlung am Wurststand? Wie soll das gehen?“

Kein Unternehmen ist zu klein, um guten Kundenservice zu bieten. Es gibt eine Vielzahl von Terminals in allen Größen und Preislagen, die über das Mobilfunknetz arbeiten. Zu den Kosten: siehe oben!

„Unsere Lieferanten müssen wir auch bar bezahlen!“

Zugegebenermaßen ein Problem. In der Gastronomie sicher nicht unüblich. Da aber kaum zu erwarten ist, dass in naher Zukunft alle Gäste bargeldlos bezahlen, ist das eine gute Möglichkeit, um die Kosten der Bargeldeinzahlung bei den Banken zu reduzieren. Einfach alle Lieferungen bar bezahlen. Soll sich doch der Lieferant mit den Kosten herumärgern!

Es gibt aber auch bessere Möglichkeiten: Überweisungen vom Smartphone bei Anlieferung! Egal ob mit der Mobile Banking App von der Hausbank oder einem Produkt eines Fintechs. Man sollte auch als Unternehmer seine Lieferanten mal gelegentlich daran erinnern, welches Jahr wir schreiben.

„Wer bitte bezahlt 2,30€ per Karte?“

Antwort: Immer mehr Menschen tun das im Supermarkt. Warum? Weil es bequemer ist. Im Ausland ist es üblich auch noch kleinere Beträge kontaktlos zu bezahlen. Ob 70 Cent für eine Straßenbahnfahrkarte in Polen (Automaten nehmen vielfach kein Bargeld an) oder für den Zugang zur Bahnhofstoilette. Kein Betrag ist zu klein, als dass er sich nicht mit Karte bezahlen ließe!

„Dann gibt es kein Trinkgeld mehr!“

Das ist so ziemlich der größte Quatsch. Fast alle Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Karte nicht nur mehr ausgeben (das kann man durchaus für gefährlich halten), sondern auch großzügiger tippen. Wenn ich 50€ im Portemonnaie habe und einen Deckel von 38,50€ zu zahlen habe, dann gebe ich 40€. Mit Karte würde ich (entsprechender Service vorausgesetzt) auch 43€ geben. Wirte, die aus Bequemlichkeitsgründen die Abwicklung von Trinkgeldern über Karte ablehnen, tun ihren Leuten damit wahrlich keinen Gefallen!

„Das ist der Einstieg in die totale Überwachung!“

Nun ja auch wenn die Daten des Zahlungsverhaltens in ihrer Gesamtheit gute Aufschlüsse über die Konsumenten geben, so interessiert es eure Bank nicht die Bohne, dass ihr um drei Uhr morgens 3,50€ bezahlt habt. Dass es sich dabei um ein Bier gehandelt hat, ließe sich allerhöchstens daraus ableiten, dass die Belastung von der Bahnhofskneipe im Hauptbahnhof stammte.

Wer sich bzgl. seines Lebensstils (Party, Alkohol, Fast-Food) darüber Gedanken macht, was bspw. die Krankenkasse davon hält, sollte vielmehr davon Abstand nehmen, entsprechende Beweisfotos auf Facebook und Instagram zu posten!

„Wir sind hier doch nicht in Amerika!“

Auch das ist ein weit verbreitetes Vorurteil. In den USA kann man zugegebenermaßen fast überall mit Karte bezahlen. Aufgrund der vielfach niedrigen Limite der Karten gibt es auf die Anzahl Einwohner bezogen, wohl kaum ein Land mit so vielen Karten. Dennoch ist der Anteil der Barzahlungen in den USA konstant hoch. Auch technologisch hinkt das Land hinterher. Während wir bei uns seit Jahren mit Chip&PIN bezahlen, geht die EMV-Migration in den USA nur mühsam voran!

Während viele von dem fast bargeldlosen Schweden gehört haben, so schaut man in ungläubige Gesichter, wenn man von Polen oder anderen osteuropäischen Ländern berichtet. Viele, die meinen Deutschland sei technologisch ganz weit vorne, sehen in den Polinnen und Polen hauptsächlich die Putzfrau, den Handwerker, aber garantiert nicht die Vertreter eines Landes wo Internet im Zug möglich ist, überall bargeldlos bezahlt werden kann und welches hervorragende Softwareentwickler hervorbringt. Diese schütteln übrigens den Kopf, wenn das Hipster-Café im Haus ihrer Berliner Dependance nur Bargeld akzeptiert!

Diese Liste ließe sich nahezu beliebig weiterführen. Da ich es inzwischen Leid bin, derartig unsinnige Diskussionen mit uneinsichtigen Unternehmerinnen und Unternehmern zu führen oder meinen Ärger an den am wenigsten dafür könnenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszulassen, gehe ich immer konsequenter einen anderen Weg:

  1. Vor Kauf / Bestellung fragen, ob Kartenzahlung möglich ist. Wenn nein, dann wünsche ich einen guten Tag und gehe. Es gibt immer Alternativen!
  2. Hinterlassen von entsprechenden Hinweisen auf Bewertungssystemen wie TripAdvisor, Yelp!, Foursquare oder bei Facebook
  3. Einfach nicht mehr hingehen!

Wer eine solche Vermeidungsstrategie fährt, steht häufig vor dem Problem der alternativen Versorgung, die vielfach mit höheren Preisen einhergeht. Das kann man so machen, muss man aber nicht.

Anstatt jeden morgen auf dem Weg ins Büro die gleichen zwei belegten Brötchen beim Bäcker zu kaufen, kann man sich auch zuhause ein paar Brote schmieren! Den Kaffee kann man sich ebenfalls zuhause kochen und in einem wiederverwendbarem Becher mitnehmen. Darüber freuen sich Konto und Umwelt!

Anstelle des regelmäßigen Gangs zum Spätkauf: Wie wäre es mal mit einem großen Wocheneinkauf im Supermarkt des Vertrauens? Damit spart man richtig!

Wenn die Kneipen und Restaurants in der Stadt nur Bares wollen? Einfach seltener hingehen und stattdessen zu Hause kochen. Spart Geld und ist vielfach auch qualitativ besser.

Wie man sieht, gibt es immer Alternativen. Wie weit jemand dabei gehen möchte, obliegt jedem selbst. Bei Stammläden mache ich auch noch die Ausnahme und suche das Gespräch. Bei Uneinsichtigkeit folgt aber auch hier irgendwann der Boykott.

Ich bin es einfach Leid, dass man in Deutschland mit Problemen kämpfen muss, über die man im Ausland nur lachen kann!

Marc-Oliver Schaake

Lotus / IBM / HCL Notes Professional Mag Reisen mit dem Zug, insbesondere mit Nachtzügen Kartenzahler seit 1987

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