29. März 2024

Kontaktlos unterwegs im Londoner Nahverkehr

Mein letzter Aufenthalt in London ist schon eine ganze Weile her. Genauer gesagt: Sommer 1986. Das war zu einer Zeit, wo man noch mit Travellers Cheques reiste und hoffen musste, dass diese bis zum Urlaubsende ausreichen würde. Taten sie natürlich nicht und so musste meine Mutter mir damals per Western Union telegraphisch Geld auf die Insel überweisen.

Das ist natürlich heute mehr als nur Schnee von gestern. Auch wenn es immer noch genügend – vornehmlich deutsche – Touristen gibt, die sich bei irgendwelchen dubiosen Wechselstuben mit grottenschlechten Wechselkursen über den Tisch ziehen lassen.

Da das bargeldlose und kontaktlose Bezahlen im UK längst Standard ist, geht es in diesem Reisebericht vornehmlich um ein anderes Thema: Barrierefreies Ticketing im Nahverkehr.

Anreise mit ICE und Eurostar

Wie von mir nicht anders zu erwarten, bin ich natürlich von Köln aus mit dem Zug nach London gereist. Das geht recht bequem mit dem ICE bis Brussel-Zuid und von da aus mit dem Eurostar mitten ins Herz Londons zum Bahnhot St. Pancras-International.

In Brüssel hatte ich einen planmäßigen Aufenthalt von 80 Minuten, also genügend Zeit für den Checkin am Channel-Terminal. Man sollte 45 Minuten vor Abfahrt dort sein. Statuskarten und gewisse Business-Class Tickets berechtigen zum Express-Checkin bis 10 Minuten vor Abfahrt.

Wie an einem Flughafen (oder bei der spanischen Bahn RENFE) werden hier erst einmal alle Koffer durchleuchtet und man selbst durch einen Metalldetektor geschleust.

Mit einem EU-Reisepass kann man sodann durch ein automatisiertes Portal schreiten, wie es bspw. von Flughäfen bekannt ist. Da ich zu faul war, meinen Reisepass aus dem Koffer zu kramen, bin ich sodann zum freundlichen UK-Customs Officer geschritten und habe meinen Personalausweis vorgelegt. Das dauerte so ca. 30 Sekunden und ich war somit offiziell ins Vereinigte Königreich eingereist, auch wenn ich vielleicht den Zug im französischen Lille wieder verlassen hätte.

Die Fahrt mit dem Eurostar selber war unspektakulär. Der modernisierte TGV der ersten Generation Eurostars war innen hell und freundlich eingerichtet. An jedem Doppelsitz in der zweiten Klasse befand sich eine UK und eine Schukosteckdose. Im Zug selbst hatte ich stabilen LTE bzw. 3G-Empfang. Und das sogar unter dem Ärmelkanal. Da können sich die Netzbetreiber in Deutschland mehr als nur eine Scheibe abschneiden.

Leider ist es in den Sitzen so eng, dass man nicht wirklich entspannt arbeiten kann. Wer ein wenig größer und/oder fülliger ist, sollte sich den Aufpreis für die Business Class auf jeden Fall gönnen.

Das 2. Klasse-Ticket für die Hin- und Rückfahrt kostete, Ende Januar gebucht, 158,80€. Ein fairer Preis finde ich.

Nach insgesamt 5,25h hieß es dann: Willkommen in London.

 

Schlangen vor den Ticketautomaten in der Tube

Das erste was mir auffiel, war die schier endlose Schlange vor den Ticketautomaten am Eingang zum U-Bahnhof. Die Automaten dienen dazu, entweder Papiertickets zu ziehen oder seine Oyster-Card aufzuladen. Letzteres ist eigentlich unnötig, da man das bequem auch mit einer Smartphone-App erledigen kann.

 

Links: Zwei Eurostars (links Velaro e320 von Siemens, rechts TGV TMST/BR Class 373 von Alstom) im Bahnhof St. Pancras-International

Rechts: Schlangen vor den Ticketautomaten in der U-Bahn

Reisende, die keine bestimmten Rabatte (Alter, Behinderung etc.) erhalten, haben diesen ganzen Quatsch aber gar nicht nötig. Schließlich bietet Transport for London (TfL) das kontaktlose Reisen mit Kredit- und Debitkarten per NFC an.

Also bin ich erst einmal an der Schlange vorbei, habe meine Revolut-Mastercard an den gelben Kartenleser neben der Sperre gehalten und konnte sogleich hinunter zur U-Bahn.

Jetzt hieß es erst einmal Koffer ins Hotel bringen und dann los.

ibis Styles Kensington

Als Hotel habe ich mir das ibis Styles Kensington ausgesucht. Das liegt sehr gut in Fußreichweite der U-Bahn Station Earls Court, wo sich District und Piccadilly-Line begegnen.

Das Hotel sieht von Außen ganz nett aus. Die Zimmer sind allerdings dermaßen winzig, dass ich niemanden empfehlen würde, hier länger als für ein Wochenende zu übernachten. Kein Tisch. Kein Schrank, kein Nichts. Nur zum Schlafen ist es allerdings mehr als OK.

 

Mini-Zimmer im ibis Styles Kensington

Aber jetzt zum eigentlichen Thema!

Barrierefreies Ticketing

Fragt man ÖPNV-Manager in Deutschland nach Barrierefreiheit, erhält man Antworten die sich in der Regel auf Niederflur-Fahrzeuge und stufenfreiem Zugang inkl. Blindenleitsystemen zu Bahnanlagen beziehen.

Das ist zugegebenermaßen ein wichtiger Aspekt. Das wird einem in den über hundert Jahre alten U-Bahn-Anlagen in London auch bewusst. Viele verwinkelte Gänge und Treppen mit langen Wegen machen es Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, nicht gerade einfach mit der Tube zu reisen. Trotz der quasi ständig laufenden Modernisierung und Ausbauten der Stationen, ist erst ein Bruchteil der Bahnhöfe wirklich barrierefrei.

Barrierefreiheit meint aber eigentlich noch mehr. Gerade für Gelegenheitsnutzer gerät der Ticketkauf zum Abenteuer. Ein Wirrwarr aus Preisstufen und Sonderregelungen (Kurzstrecke 4 Haltestellen mit dem Bus aber nur 2 mit der S-Bahn etc.pp.) lassen nicht so geübte Bahnfahren verzweifeln. Hinzu kommt, dass man sich in Deutschland nicht darauf verlassen sollte, einfach ein Ticket kaufen zu können.

Mal stehen Automaten an den Haltestellen, mal befinden sie sich im Fahrzeug oder der Fahrer verkauft die Tickets. Es gibt Automaten, die lediglich Münzen akzeptieren. Oder Münzen und den nächst größeren Schein. Oder GeldKarte, oder nur die girocard etc. pp.

Da kann man in Köln und Berlin schon ganz froh sein, dass inzwischen die Mehrzahl der stationären (und in Köln auch der mobilen) Automaten das kontaktlose Bezahlen mit den wesentlichen Bank- und Kreditkarten akzeptieren.

Hält man dann endlich eine Fahrkarte in der Hand, stellt sich die nächste Frage: Abstempeln oder nicht. Einige Verbünde schaffen es tatsächlich, dass je nach verkaufendem Mitgliedsunternehmen die Tickets mal entwertet aus dem Automaten kommen oder mal erst abgestempelt werden wollen. Die Entwerter befinden sich mal im Fahrzeug und mal an den Zugängen zum oder auf dem Bahnsteig.

Ihr seht schon: Wer sich nicht, wie ich, mit dem Thema beschäftigt gerät ganz schnell an den Punkt wo bei einer Ticketkontrolle 60€ erhöhtes Beförderungsentgelt fällig sind.

Oder man lässt es gleich ganz bleiben und fährt mit dem (eigenen) Auto.

Es geht auch anders

In unseren Nachbarländern hat man sich bereits vor Jahren darüber Gedanken gemacht, wie man die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs einfacher gestalten kann. Auch ohne politisch gewollte Tarifdifferenzierungen wie Zonen, Off-Peak-Rabatte und rabattierte Mehrfahrten- und Tageskarten komplett einstampfen zu müssen, lässt sich eine Menge für den Fahrgast vereinfachen. Schlüssel hierfür sind intelligente Systeme, die die Nutzung aufzeichnen und die das Bezahlen gleich mit übernehmen.

Das auf Mifid-RFID basierende Oyster-Card System wurde 2003 in London eingeführt und zeichnet die Fahrstrecken der Nutzer auf und berechnet auf dieser Basis den Fahrpreis. Neben diesem „Travel as you go“ genannten System, können auf Oyster-Cards auch Reiseprodukte wie Monats- und Jahreskarten geladen werden.

Der Nachteil einer solchen Lösung: Der Fahrgast muss erst einmal eine solche Karte beschaffen. Das heißt also: Anstellen in der Schlange vor einem Automaten oder Schalter und 5 GBP Pfand hinterlegen.

Gerade Geschäftsreisende schrecken solche Systeme eher ab. Der Geschäftsreisende wird im Zweifel lieber eine Taxi-Rechnung beim Arbeitgeber einreichen, als sich erst einmal 30 Minuten irgendwo anzustellen.

Dennoch führt der Hamburger Verkehrsverbund gerade eine solche Closed-Loop Lösung ein.

In London hat man hingegen erkannt, dass die Oyster-Card für die regelmäßigen Fahrgäste, nicht der letzte Schritt gewesen sein konnte um das öffentliche Nahverkehrssystem attraktiver zu machen.

Ein Schlüssel hierfür ist die NFC-Technologie die seit Jahren auf immer mehr Bank- und Kreditkarten Einzug erhält und das Bezahlen in Sekundenbruchteilen ermöglicht.

Wieso eigentlich noch eine separate Karte, wenn die Kunden doch alles haben, was zur Abwicklung benötigt wird? So kann man seit September 2014 nunmehr seine Mastercard, Maestro, VISA, V-Pay oder AMEX-Karte nutzen. Weiterhin funktionieren natürlich auch iPhone (Apple Pay) oder Android-Smartphones (Android/Google Pay).

Dabei kostet die Nutzung des Systems weniger als die entsprechenden Papiertickets aus dem Automaten. Der Daily-Cap in Zone 1, die auf der Piccadilly-Line von Earls Court bis St. Pancras reicht, kostet aktuell 6,80 GBP und ist damit fair bepreist.

Noch ein Grund mehr, auf kontaktloses Ticketing zu setzen.

Die (optionale) Registrierung auf der TfL-Website

Vorweg: Das Pay-as-you-go-System funktioniert komplett ohne Registrierung. Dennoch macht es Sinn, sich einen Account anzulegen und die zu nutzende Karte zu registrieren. Man erhält so nämlich eine Übersicht über die getätigten Fahrten und die gezahlten Entgelte.

Wichtig hierbei: Man sollte stets die gleiche Karte benutzen, da ansonsten weder das tägliche noch das wöchentliche (Mo-So) Fare-Capping stattfinden kann. Bei TfL zahlt man nämlich immer nur so viel, wie eine Tages- oder Wochenkarte für die bereisten Zonen kosten würde. So viel Fairness würde ich mir von VRR & Co. wünschen!

Ein- und Auschecken mit der Mastercard

Genau wie eine Oyster-Card hält man seine Mastercard (oder VISA oder …) einfach nur an den gelben Kartenleser. Diese befinden sich in der U-Bahn oder auf Bahnhöfen rechts neben den automatischen Toren. Beim Verlassen des Bahnhofs muss erneut die Karte eingelesen werden.

Anders verhält es sich bei Bus und Straßenbahn. Bei beiden Verkehrsmitteln muss lediglich eingecheckt werden. Der Kartenleser befindet sich im Bus vorne beim Fahrer. Bei den oberirdischen Haltestellen der Tram an der Station neben dem Ticketautomaten.

 

 

Links: Screenshot aus der Revolut-App. Unterhalb der Vorautorisierung befindet sich ein Link auf die TfL-Webseite mit Hinweisen zur Abrechnung der Tickets.

Rechts: London besitzt auch eine Straßenbahn. Ab Wimbledon schlängelt sie sich, teilweise eingleisig, als Light-Rail zunächst durch Hinterhöfe, Gärten und Wälder um dann über eine abenteuerliche Rampenkonstruktion in das Zentrum von Croydon zu gelangen. Dort durchquert sie enge, kurvige Straßen wie die klassische Tram.

Jeder, der mal beim Bezahlen im Restaurant schier endlos auf die Durchführung einer Kartenzahlung gewartet hat, wird sich natürlich fragen, ob das nicht tierisch aufhält?

Die ganz klare Antwort lautet nein.

Beim Tappen der Karte wird nämlich keine Kartenzahlung im eigentlichen Sinne durchgeführt, sonder erst einmal nur die Daten der Karte aufgezeichnet. Nach dem ersten Checkin wird eine Vorautorisierung über 1,50 GBP durchgeführt. Die eigentliche Abrechnung der gefahrenen Strecken erfolgt erst nach einem Tag.

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen bringt TfL seinen Nutzerinnen und Nutzern auch ein gewisses Vertrauen entgegen, indem über diesen Weg auch Debit- und Prepaidkarten verarbeitet werden. TfL geht somit für die Zahlungen ins Risiko. Sollte die Belastung nicht ausgeführt werden können, so wird einfach die Karte solange zur Nutzung gesperrt, bis der offene Saldo beglichen wurde.

Die Nutzung der Öffis mit der Prepaid-Karte von Revolut war also kein Problem.

 

Piccadilly-Circus am Abend

Kann man etwas falsch machen?

Das System von TfL ist bewußt einfach gehalten. Dennoch gibt es Situationen wo es zu sog. „Incomplete journeys“ kommen kann. Grund hierfür ist das Vergessen des Check-Outs.

Sollte eine Überfüllung einer Station drohen, so werden die Portale gerne mal geöffnet. Man kann und sollte dennoch auschecken wenn es irgendwie möglich ist. In der Regel wird in einem solchen Fall auch ein Mitarbeiter zur Seite stehen, der zunächst erst einmal alle Besitzer von Dauerkarten oder Papiertickets durch die Schleuse winkt.

Wenn es aber dennoch zu so einer unvollständigen Erfassung kommt, so agiert TfL im Hintergrund sehr fair. Man versucht elektronisch anhand der Reisehistorie die Fahrten nachzuvollziehen und zu beenden. Ist dies nicht möglich, so wird ein Maximalbetrag belastet. Der Fahrgast hat aber die Möglichkeit, um eine Erstattung zu bitten.

Weiterhin gibt es natürlich Fälle, wo Check-In und Check-Out mit zwei unterschiedlichen Karten durchgeführt wird. Hier ist TfL natürlich machtlos und berechnet jeweils den Maximaltarif.

Fazit

Gerade für Gelegenheitsnutzer ist das System von TfL ideal. Es wäre wünschenswert, wenn man auch in Deutschland neben der Implementierung des VDV e-Ticket für Stammkunden auch auf kontaktloses Ticketing setzen würde.

Wie so etwas auch dort funktionieren kann, wo keine Schranken den Zugang zur Station beschränken, erfahrt ihr in drei Wochen. Dann werde ich aus dem polnischen Wrocław berichten, wo genau ein solches System am 08. März eingeführt werden wird.

 

Marc-Oliver Schaake

Lotus / IBM / HCL Notes Professional Mag Reisen mit dem Zug, insbesondere mit Nachtzügen Kartenzahler seit 1987

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