29. März 2024
Grenzschild der DDR - Halt Staatsgrenze

girocard 2024: An der Grenze ist Schluss?

Ein Erfolgsrezept der girocard war auch, dass Karteninhaber damit auf Auslandsreisen bezahlen und Geld abheben konnten. Dank des sog. Co-Badges Maestro (von Mastercard) oder  V Pay (von VISA) war des Deutschen liebste Karte weltweit (Maestro) oder zumindest europaweit (V Pay) gern gesehenes Zahlungsmittel, auch wenn es für Karteninhaber außerhalb der EUR-Zone meist teuer wurde. Ganz im Gegensatz übrigens zu ausländischen Besuchern in Deutschland, die häufig verzweifelten, wieso ihre Maestro-Karte im Restaurant nicht akzeptiert wurde, obwohl sie äußerlich bei vielen Banken kaum von einer deutschen girocard mit Maestro Co-Badge zu unterscheiden war. Aber lassen wir das.

Mastercard hat im Oktober 2021 für Maestro einen Zeitplan für den Ausstieg genannt. Der sog. „End of Sale“ wird bereits am 30.06.2023 sein. Bei einer Gültigkeit von normalerweise vier Jahren (fünf Jahren bei Revolut), wäre also irgendwann 2027 oder 2028 der Moment, wo der Stecker gezogen werden könnte.

Zukünftige Möglichkeiten

Seitdem stellt sich natürlich die Frage, wie es ab Juli 2023 mit der girocard weitergehen soll. Einige der möglichen Pfade:

  • Co-Badging mit Debit Mastercard resp. VISA Debit
  • Wechsel zu V Pay und Deal mit VISA (unwahrscheinlich, da VISA das Thema V Pay öffentlich bereits abgehakt hat)
  • Co-Badging mit Cirrus (Mastercard) resp. Plus (VISA) und damit im Ausland lediglich Bargeldbezug am Automaten
  • girocard als reine Karte fürs Inland ohne Co-Badge
  • epi Debit Card als Rettungsanker

Die Direktbanken haben diese Frage für sich längst beantwortet. VISA Debit ist für sie das strategische Produkt und die girocard wurde in die zweite Reihe verbannt. Die comdirect bietet die girocard dann konsequenterweise auch ohne Co-Badge an. Aus Sicht der Karteninhaber ist das zumindest für Reisen in die Niederlande noch eine Weile problematisch.

Bei den anderen Banken und Bankengruppen ist die Zukunft ungewisser. Dem Traum eines europäischen Bezahlsystems mit eigener Debitkarte, ist man weiter denn je entfernt, nachdem die Gruppe der Zahlungswilligen immer kleiner wird. Von den Volks- und Raiffeisenbanken vernahm man das Gerücht, dass man gerne zu V Pay wechseln möchte, was aber bei VISA sicherlich auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte. In deren Reihen gibt es bereits einige Institute, die zumindest zeitweise einmal mit girocards ohne Co-Badge oder lediglich Co-Badges für den Bargeldbezug gearbeitet haben. Wie zukunftsfähig eine solche Vorgehensweise anno 2022 erscheint, darf jeder für sich selbst beantworten. Von Seiten der einstmals großen Privatbanken hat man öffentlich bislang nichts vernommen.

Sparkassen sind gerüstet

Während der Wettbewerb zum Teil völlig nackt dasteht, haben die Sparkassen ihre Antwort bereits vor einiger Zeit gefunden: Die SparkassenCard 2.0. Dabei handelt es sich um eine girocard, die mit einer Debit Mastercard als Co-Badge ausgestattet ist. Das Co-Badge soll dabei vollumfänglich einsatzbar sein, also nicht nur an Bezahlterminals im Handel, sondern auch online in Webshops.

SparkassenCard 2.0

Obwohl das Produkt fertig da liegt, die meisten AGB der Sparkassen mit den letzten Aktualisierungen auch die entsprechenden Hinweise auf dieses Produkt mitbringen, haben erst 17 Sparkassen dieses Produkt eingeführt. Teilweise nur in speziellen Kontomodellen.

Zu groß dürfte die Angst sein, sich mit einem solchen Produkt das eigene Kreditkartengeschäft zu kannibalisieren. Schließlich gibt es anscheinend immer noch genug Kunden, die bereitwillig eine Jahresgebühr für eine Karte bezahlen, die 49 Wochen im Jahr in der Schublade liegt und lediglich für den Urlaub benutzt wird. Abgesehen von vielleicht einem Netflix-Abo und dem Hinterlegen der Kartendaten bei iTunes.

Abkassieren geht immer

Mit Simon von CardOnly habe ich in der Vergangenheit darüber philosophiert, welche der obigen Möglichkeiten wohl am Wahrscheinlichsten eintreten werden. Simon meinte, dass das Co-Badging mit Cirrus durchaus vorstellbar sei. Ich, als alter Optimist, habe zumindest ausgeschlossen, dass die Sparkassen angesichts ihres fertigen Produkts so einen unsinnigen Weg einschlagen würden. Leider scheint es noch schlimmer zu kommen:


Die eh schon nicht gerade für Discount-Konditionen bekannte Stadtsparkasse Düsseldorf plant doch allen Ernstes, in den günstigeren Kontomodellen die Ausgabe von girocards gänzlich ohne Co-Badge ab Mitte 2023. Meiner Meinung nach, ein völliger Irrweg!

Was taugt eine girocard ohne Co-Badge?

Liebe Sparkassen, die ihr gerade darüber nachdenkt, den Fehler der Düsseldorfer Kolleginnen und Kollegen ebenfalls zu machen: Lasst es! Hier erkläre ich Euch wieso:

Mit Streichung bzw. Bepreisung des Co-Badges nehmt ihr der girocard vielleicht den einzigen Vorteil, den diese Karte gegenüber Mastercard und VISA in Deutschland jemals hatte: Karteninhaber mussten sich bislang so gut wie nie Gedanken darüber machen, ob ein Terminal ihre Karte vielleicht ablehnen könnte. Egal, ob im Inland via girocard oder ELV und im europäischen Ausland via Co-Badge: Die Karte hat ganz einfach funktioniert. Es gab wirklich nur sehr sehr seltene Konstellationen, wo ein Karteninhaber gar nicht mit seiner Karte bezahlen konnte. Gewisse Cases bei kontaktloser Zahlung einmal ausgenommen.

In Deutschland ist die Terminallandschaft wesentlich bunter geworden und nicht alle akzeptieren die girocard nativ. Dazu gehören die ganzen mPOS-Terminals wie bspw. SumUp und Zettle. Diese sind vor Allem dort sehr beliebt, wo bislang häufig nur Bargeld akzeptiert wurde, wie z.B. in kleinen Cafés, Imbissen oder Lieferdiensten. Der einfache und schnelle Onboarding-Prozess bei SumUp macht dieses Angebot gerade für Existenzgründer interessant. Ein weiterer großer Einsatzbereich solcher Terminals, hier das OptiPay von concardis, ist die Bordgastronomie der Deutschen Bahn. Bis vor Kurzem konnte dort nur per Kreditkarte und Magnetstreifen bezahlt werden. Auch hier würde eine girocard ohne Co-Badge nicht mehr funktionieren. Da einige Sparkassen und Volksbanken solche Terminals ebenfalls vermarkten bzw. vermarktet haben, dürfte da schnell Frust unter den Händlerkunden entstehen.

Probleme dürften auch an vielen Verkaufs- und sonstigen Kassenautomaten in Deutschland auftreten. Auch, wenn Selecta an vielen Orten die erste Generation von Ingenico-Modulen gegen CCV-Module mit girocard-Akzeptanz ausgetauscht hat, so gibt es noch genügend Geräte, die alleine auf internationale Kartenschemes setzen. Nayax, um mal einen zu nennen, ist ein Anbieter von kostengünstigen Nachrüstlösungen für alte Automaten im Bestand, die man häufig antreffen kann. So z.B. an öffentlichen Toiletten in Bahnhöfen.

Aber auch an klassischen Terminals, wie wir sie zu Tausenden kennen, ist mit einer reinen girocard häufig keine Zahlung möglich. Internationale Retailer wie Primark oder Action nutzen die Zahlungsdienstleister des Heimatmarktes auch an deutschen Kassen.  Cross-Boarder-Acquiring oder die Abwicklung internationaler Kartenschemes ohne den Umweg über einen girocard-Netzbetreiber findet man des Weiteren auch bei Bäckereien, denen deutsche Anbieter lange keine adäquaten Angebote machen konnten, in Restaurants und Hotels.

In Zukunft dürften mobile Kartenlösungen ganz ohne Extra-Hardware auch in Deutschland häufiger anzutreffen sein. Gerade erst hat Apple verkündet, den Dienst eines zugekauften kanadischen Unternehmens in den Markt zu tragen. Ein solches Angebot gibt es zwar schon von Payone mit girocard-Akzeptanz, die Mehrheit solcher Lösungen dürften sich aber nicht in die Niederungen nationaler Bezahlsysteme begeben wollen.

Wie man sieht, gibt es trotz des – noch – erschlagenen Marktanteils der girocard am Bezahlmix genügend Situationen, wo selbst im Inland ohne internationale Schemes nichts geht.

Den Bogen nicht überspannen

Die Sparkassen, aber auch alle anderen Retailbanken, die glauben man könne mit einem neuen Co-Badge wahlweise Geld verdienen oder ganz ohne auskommen und stattdessen auf die eigenen Kreditkarten verweisen, möchte ich eines mit auf den Weg geben: Die Kundschaft mag ja in ihrer Trägheit die eine oder andere Erhöhung der Kontoführungsgebühren akzeptieren und vielleicht – nach Wegfall der Zustimmungsfiktion – die Zustimmung im Online-Banking auch aktiv abgeben, aber mit jeder Gebührenerhöhung wird die Faust in der Tasche dicker.

Eine Karte, die an immer mehr Orten nicht akzeptiert wird, dürfte der Tropfen sein, der das berühmte Fass zum Überlauf bringt. Besonders dann, wenn man zum dritten Mal vom Kassenpersonal den laut vorgetragenen Kommentar „Dann wird wohl nicht genügend Geld auf dem Konto sein“ gehört hat.

Also: Lasst den Unsinn!

 

Marc-Oliver Schaake

Lotus / IBM / HCL Notes Professional Mag Reisen mit dem Zug, insbesondere mit Nachtzügen Kartenzahler seit 1987

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