Als überzeugter Bahnfahrer betrifft es mich eher selten, aber wenn man mich fragt was mich am Fliegen am meisten stört, dann sind das die endlosen Wartezeiten beim Check-In, bei der Sicherheitskontrolle und schließlich in der Abflughalle vor dem Boarding. Nichts nervt mehr, als mit hunderten anderer Menschen in lauter und ungemütlicher Umgebung sinnlos seine Zeit zu vergeuden. Hat man es dann endlich in den Flieger geschafft, erwarten einen enge Platzverhältnisse und, wie könnte es anders sein, weiteres Warten bis zum Takeoff.
Der heutige, auf niedrige Kosten getrimmte, Flugverkehr ist einfach zu weit weg vom einstigen Traum vom Fliegen, als das man noch so etwas wie Spaß dabei empfinden könnte. Ach, wenn es denn nur anders ginge…!
Business- und First Class Flüge zum Schnäppchenpreis
Genau hier setzen einige Influencer mit ihren Instagram und Facebook-Ads an. Sie erzählen, wie für sie der Urlaub bereits beim Checkin beginnt und sie dank ihres Geheimwissens, welches sie natürlich gerne gegen Geld teilen, selten mehr als 100€ für einen Business- oder First Class-Flug bezahlen und diese Möglichkeit wirklich jedem offenstünde.
Schlüssel hierfür ist es seine Alltagsausgaben mit den richtigen Kreditkarten zu tätigen, die das Meilenkonto förmlich explodieren lassen oder für eine sechs bis siebenstellige Anzahl von Membership Rewards-Punkten bei American Express sorgen.
Klingt verlockend? Vielleicht sogar so verlockend, dass man sich für einen Euro eine als Crash-Kurs getarnte Verkaufssendung im Internet anschaut und am Ende noch weiteres Geld für Kurse in die Hand nimmt, um das wirklich geheime Geheimwissen zu erfahren?
Könnt ihr machen. Ihr könnt aber auch einfach diesen Blogpost weiterlesen und dann entscheiden.
Wieso dieser Blogpost?
Ich beschäftige mich ja schon eine Weile mit dem Thema bargeldloses Bezahlen und Teil davon waren natürlich seit je her die diversen Loyalty und Rewards-Programme. In den vergangenen Jahren sind viele dieser Programme eingestellt worden. Ein Hauptgrund hierfür war natürlich, dass durch die von der EU verordnete Deckelung der Interchange-Gebühren die Luft für solche Programme dünn wurde, die die Belohnung rein aus den Gebühren für Kartenumsätze entrichten mussten. Um überhaupt noch spürbare Beträge auszahlen zu können, musste man also andere Quellen anzapfen, wie z.B. die zu entrichtende Jahresgebühr für die Karte an sich oder Erlöse aus Sollzinsen von Teilzahlern.
Eine dritte Möglichkeit ist es, Kooperationspartner dafür zahlen zu lassen. Wer als Bank eine Co-Branding Kreditkarte mit einem bekannten Unternehmen herausgibt, erhöht schließlich durch entsprechende Bonifizierung die Bindung an den Partner. Das sollte dem Partner doch bares Geld wert sein, oder? Nun ja, die Realität sieht meist anders aus, wie man an einem recht aktuellen Beispiel erkennen kann.
Die Lufthansa hat vor einer Weile Banken aufgefordert, Angebote für den Betrieb der Miles & More Kreditkarte zu unterbreiten. Dabei wollte die Lufthansa nicht etwa wissen, was sie der Spaß zur Bindung ihrer Kunden kosten wird, sondern wieviel Geld die Banken für ein Paket vermeintlich attraktiver Kreditkarten-Kunden bereit sind zu zahlen. Am Ende erhielt die Deutsche Bank den Zuschlag und löst demnächst den langjährigen Partner DKB ab.
Parallel zum inflationären Auftauchen der eingangs erwähnten Anzeigen ließ sich ein anderes Phänomen beobachten: In Foren und Facebook-Gruppen häuften sich Posts mit Fragen zur American Express Platinum Card, einem Kartenprodukt mit immerhin 720€ Jahresgebühr (700€ in der Business-Variante) und damit weit weg von einer Brot- und Butter-Karte für den täglichen Einkauf im Supermarkt.
Zeit, um mal etwas näher hinzuschauen.
Was bietet die American Express Platinum-Kreditkarte?
Die Amex Platinum-Karte gilt als die exklusivste Amex-Kreditkarte, die sich beantragen lässt. Die darüber angesiedelte Centurion-Karte erhält man nur auf Einladung, also im Zweifel wenn man regelmäßig wirklich sehr hohe Umsätze mit seiner Amex-Kreditkarte macht.
Für Vielreisende ist die Karte sicherlich auch wegen der Priority Pass-Mitgliedschaft und Status-Upgrades bei diversen Hotelketten interessant. Business-Kunden bietet die Amex Platinum darüber hinaus ein paar unschlagbare Leistungen: Bis zu 98 kostenlose Gold- und eine weitere Platin-Kreditkarte für Mitarbeiter, sowie eine weitere kostenlose Platin und Gold-Karte für private Zwecke. Das ist schon eine Ansage.
Mehr zu den Karten findet ihr hier.
Mitglieder erhalten darüber hinaus regelmäßig eine Reihe von Vergünstigungen wie bspw. Shopping-Guthaben, Restaurant- oder Reiseguthaben. Während das Restaurantguthaben von 150€ p.a. bei der privaten Amex Platinum dank der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in Deutschland ein absoluter No-Brainer ist, zielen die anderen Guthaben eher darauf ab, zusätzliche eigene Ausgaben zu tätigen. Ganz platt gesprochen: Selbst wenn mir das Reiseguthaben ein Wochenende in einem Hotel in Berlin ermöglicht, so muss ich ja erst einmal dorthin gelangen und werde dort sicherlich auch weiteres Geld ausgeben. Gut für Amex.
Dass man die Goodies mitnimmt, wenn es passt: Geschenkt. Wer jetzt aber anfängt sich die Jahresgebühren mit den vermeintlichen Vergünstigungen schön zu rechnen, der sollte sich schon sehr genau fragen, ob er beim richtigen Produkt gelandet ist oder ob eine kostenlose Kreditkarte bspw. von der Hanseatic Bank für sie oder ihn nicht besser geeignet ist.
Mit jeder Zahlung lassen sich Membership Rewards-Punkte sammeln. Pro Euro Umsatz erhält man einen Punkt. Mit dem kostenpflichtigen Punkte-Turbo (15€ p.a.) sind es pro 2€ dann 3 Punkte.
Weitere Punkte gibt es über spezielle Sammelaktionen bei bestimmten Amex-Partnern oder für das Werben von neuen Kundinnen und Kunden für das Kartenprodukt. Hierzu später mehr.
Die Punkte lassen sich zu einer Vielzahl von Hotel- und Airline-Partnern transferieren oder mit dem Faktor 3:1 in Payback-Punkte und damit auch Bargeld einlösen. Selbst mit dem Punkte-Turbo erhalten Karteninhaber also lediglich ein Cashback i.H.v. 0,5%. Auch wenig attraktiv erscheint in der Folge die Umwandlung von Payback-Punkte in Miles & More-Meilen. Da sind die anderen Einlöse-Möglichkeiten meist wesentlich interessanter.
Wie komme ich jetzt zu meinem First Class-Flug?
Wie viele MR Punkte man für einen First Class-Flug zu einer Airline transferieren und opfern muss, hängt natürlich von einer Vielzahl von Faktoren ab. Airline, Reisezeitpunkt, Strecke etc.pp. Ich bin da wahrlich kein Experte, siehe erster Satz dieses Blogposts, aber man sollte von einem Betrag zwischen 100.000 und 150.000 MR-Punkten ausgehen wenn nicht gerade irgendeine Aktion läuft oder man seinen First Class-Flug nicht unbedingt auf einem Zubringer zwischen Singapur und Jakarta absolvieren möchte.
Wie wir ja oben gelernt haben, erhält man pro Euro Umsatz einen MR-Punkt. Das bedeutet auf Deutsch, dass man 100.000 EUR, das ca. 3,5-fache des durchschnittlichen deutschen Netto-Jahresgehalts, über die Karte laufen lassen muss, um einmal bspw. von Frankfurt one-way nach New York in der First Class zu reisen. Selbst mit Punkteturbo wären das noch 67.000 EUR.
Während man als Firmeninhaber relativ leicht auf eine solche Punktzahl kommt wenn das ganze Unternehmen die Reisekosten über das Amex-Konto abrechnet und bspw. Teile der Beschaffung oder der monatlich Ad-Spend der Firma auf Meta darüber laufen, so unmöglich dürfte das für die meisten Normalverdiener erscheinen.
An der Stelle darf in den meisten der Beiträge natürlich nicht der Hinweis fehlen, dass man natürlich auch Kosten wie Miete und Versicherungen in Meilen umwandeln kann. Hierzu muss man sagen, dass „Geheimmethode Nummer eins“, nämlich das Aufladen seines Revolut-Kontos mit der Miles & More-Kreditkarte nicht mehr funktioniert und das natürlich auch nichts mit der Amex-Karte zu tun hat und zum Anderen es mit der Amex aktuell auch im deutschen Markt keine Möglichkeit gibt, Überweisungen zu tätigen ohne gegen die Kartenbedingungen zu verstossen.
Aber wieso interessieren sich plötzlich selbst Studierende mit Nebenjob für diese nicht ganz billige Karte? Selbst wenn man es schaffen sollte, jeden Döner und jede Club-Mate damit zu bezahlen, wird man doch nie nur in die Nähe der 100.000 MR-Punkte kommen.
Das Geheimnis ist eigentlich keines: Wie bei einigen anderen Produkten gibt es auch hier recht großzügige Prämien für das Werben von neuen Kunden. Je nach Aktion gibt es sowohl für den Werber als auch für den Geworbenen zwischen 50.000 und 75.000 MR-Punkten.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Während der Werber seine Punkte in jedem Fall bekommt, muss der Geworbene hierfür einen Mindestumsatz mit der Karte tätigen, der je nach Aktion meist zwischen 10.000€ und 15.000€ in den ersten drei bis sechs Monaten liegt. Auch eine Hürde, die nicht jeder erfüllen kann. Und Achtung: Bei der Business Platinum muss der Umsatz mit den Business-Karten und nicht etwa einer der privaten Zusatzkarten erfolgen.
Darüber hinaus bietet Amex auch ein Affiliate-Programm an, welches bspw. den Betreibern von Webseiten anstatt MR-Punkten gleich Cash auf den Tisch legt.
Und was ist jetzt mit meinem Flugticket?
Führen wir die losen Enden zusammen. Wer also nicht nur einmal, sondern möglichst häufig, in den Genuss verbilligter First oder Business Class-Tickets kommen möchte, sucht sich regelmäßig Leute, denen er oder sie die Karte schmackhaft machen kann.
Sobald der Kartenantrag genehmigt wurde, füllt sich das Membership Rewards-Konto der werbenden Person. Je mehr Leute man findet, die sich 720€ im Jahr schön rechnen wollen, je mehr Punkte bekommt man.
Wer nach einigen Monaten der aktiven Akquise zu keiner Familienfeier mehr eingeladen wird und auch keine Freunde mehr hat, der startet einfach eine Karriere als Influencer auf Instagram. Oder beginnt einen „Travelblog“. Wem das ganze Reisen irgendwann auf den Senkel geht, der kann natürlich auch einfach die kommerzielle Variante des Affiliate-Programms nutzen (Konditionen bspw. hier).
Fazit
Findige Leute haben einen Weg gefunden, den Traum von einer angenehmeren Art des Reisens mit Hilfe von Affiliate-Marketing und dem Kunden-werben-Kunden Programm von Amex lukrativ für sich zu nutzen. Aggressiv beworbene Meilenkurse sorgen für zusätzliche Einnahmen auch von Amex-Neukunden, die nicht über die eigene Webseite/Profil geworben wurden. Anbieter von obskuren Seiten zur Durchführung eigentlich nicht erwünschter Überweisungen dürften noch einmal Geld ausschütten.
Eine Frage wäre nun naheliegend: Was hält eigentlich Amex davon, dass ihr Premium-Produkt zum Hauptbestandteil eines Quasi-Schneeballsystems geworden ist?
Hier kann man nur spekulieren. Ein auffällig großer Teil der Kommunikation online, wie bspw. das Lifestyle-Magazin AmexCited richtet sich in Aufmachung und Tonalität eher an jüngere Menschen. Hohe Prämien deuten darauf hin, dass die Anzahl der Neuverträge wohl der bestimmende KPI sein dürfte. Mich würde interessieren, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die bereits nach einem Jahr wieder kündigen.
Eine Kreditkarte für 720€ p.a. die man im Alltag wegen ihrer beschränkten Akzeptanz nur bedingt einsetzen kann, bei der darüberhinaus 2% für den Einsatz in Fremdwährung fällig werden und bei der immer noch regelmäßig Probleme beim kontaktlosen Bezahlen auftreten erscheint mir wenig attraktiv. Einzig das Business-Paket reißt es für mich persönlich wieder raus.
Sollte Euch also demnächst mal ein bekannter von seiner tollen neuen Kreditkarte und seinem neuen Lifestyle beim Reisen erzählen: Rennt! Und zwar schnell!
Vielen Dank für die Entzauberung der Amex Platinum!
Ich habe noch nie verstanden, was der Vorteil der Karte ist. Angeblich hat man einen guten und persönlichen Service (oder gilt das nur für die Centurion Karte?) Aber €720 p.a. für eine Kreditkarte mit eingeschränkter Akzeptanz in D auszugeben, fiel mir im Traum nicht ein.
Miles&More, die mich als Statuskunde nichts kostet, für Euro-Umsätze, Klarna für nicht-Euro Umsätze – mehr brauche ich nicht. Und die meisten kommen sicher mit Hanseatic Bank oder Klarna aus.
Zugegeben, ich bin Vielflieger und komme mit den Reisekosten locker auf die im Blogpost beispielhaft aufgezeigten Mindestumsätze. Aber als Vielflieger willst Du fliegen, wenn es die Termine vorgeben und nicht dann, wenn die Airline ein Prämienticket verfügbar hat – was kurzfristig fast nie der Fall ist. Und als Wenigflieger bzw. mit geringen Umsätzen auf der Karte braucht man – wie aufgezeigt – ewig bis man die Punkte für einen! Freiflug erreicht hat.
Für mich sind nicht die angesammelten Punkte oder Meilen der Anreiz. Das Wichtigste für mich bzw. die meisten Vielflieger sind die Statusvorteile wie Fast Lane, frühes Boarding, ruhige Warte-Lounge – genau die Dinge, die im Blogpost als nervige Begleiterscheinungen des Fliegens beschrieben wurden. Und ich möchte auch nicht meine Zeit damit vergeuden, den allergünstigsten Deal für alles Mögliche rauszusuchen. Ich weiß, es gibt viele, die das müssen. Aber das sind auch nicht die, die € 720 p.a. für eine Kreditkarte ausgeben sollten.
Meine M&M Meilen kann ich selbst kaum nutzen. Manchmal auf der Langstrecke für ein Upgrade oder für Freiflüge für Familienmitglieder, die langfristiger planen können. Trotzdem haben sich aus Umsätzen mit der KK und Flügen über die Jahre etwa 2 Mio. Meilen angesammelt. Die könnte man z.B. für CO2 Kompensation verwenden. Allerdings ist das m.E. über Meilen nicht sinnvoll. Der Wert einer Meile für CO2 Kompensation in der M&M App liegt bei etwa 0,5 bis 0,7 Cent. Für Freiflüge oder Upgrades ist der Wert einer Meile meist doppelt so hoch. Insofern kompensiere ich lieber direkt bei atmosfair.de.
Ich denke, dass die Karte an sich und die Services an sich schon ein stimmiges Bild ergeben. Neben dem normalen telefonischen Service, der über eine sehr gute Erreichbarkeit verfügt, gibt es auch noch den Concierge-Service. Aber wie immer Leben kommt es halt auf die Umstände an, ob man das wirklich braucht. Ich für meinen Teil habe seltenst morgens früh das Verlangen noch Konzertkarten für die Stones am gleichen Abend in London zu erhalten und brauche auch nicht unbedingt diese Woche noch einen Tisch in einem Restaurant in NYC welches normalerweise bis ins nächste Jahr ausgebucht ist.
Leute, die diesen Lifestyle leben, werden mit der Karte sicherlich viel Freude haben. Für den Rest wage ich mal zu bezweifeln, dass die Karte sinnvoll. ist. Selbst als „Payment-Nerd“ der früher eigentlich alles ausprobiert hat, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, privat so viel Geld für eine Kreditkarte auszugeben. Insbesondere nicht, da mich schon die kostenlose Payback Amex mit ihren Einschränkungen in der Akzeptanz nicht überzeugen konnte und mir am Ende dann auch die mir entgehenden Payback-Punkte egal waren, obwohl ich zu der Zeit noch sämtliche betrieblichen Reisekosten über meine privaten Karten vorgestreckt hatte.