Ende Juli 2019 hat die polnische Alior Bank ihren Online-Wechseldienst Kantor in einer generalüberholten Version veröffentlicht. Dabei wurden einige Unzulänglichkeiten beseitigt, die Kantor damals bspw. gegenüber der britischen Challengerbank Revolut haben alt aussehen lassen.
Aber Eines nach dem Anderen. Unser östliches Nachbarland ist nicht Teil der Eurozone und besitzt mit dem Zloty eine eigene Währung. Da die polnische Wirtschaft sehr stark sowohl mit der Eurozone, Großbritannien aber auch der Schweiz vernetzt ist, besteht seit Jahren der Bedarf nach Fremdwährungskonten als Ergänzung zum PLN-Konto auch für Privatkunden.
Sei es, um in EUR gezahlte Gehälter zu empfangen und monatliche Ausgaben wie für die Wohnung am Arbeitssitz tätigen zu können, ohne dass zweimal die Währung getauscht werden muss oder, ebenfalls eine zeitlang sehr beliebt, sein Baudarlehen in Schweizer Franken abzahlen zu können.
Übliche, in PLN geführte, Girokonten haben marktüblich einen Spread von rund 10%, d.h. sowohl bei eingehenden, als auch ausgehenden Zahlungen in Fremdwährung verliert man rund 5% der Summe. Bis vor einiger Zeit war es auch nicht unüblich, dass der Transfer zwischen einem Fremdwährungskonto und einem PLN-Konto des gleichen Empfängers bei der gleichen Bank ähnliche Kosten produzierte.
Kantor (deutsch: Wechselstube)
An dieser Stelle setzte seit mehreren Jahren Kantor von der Alior Bank an. Die Alior Bank ist ein recht junges Institut, was erst 2008 gegründet wurde und inzwischen 4 Millionen Kunden bedient, worunter 170.000 Firmenkunden. Neben rund 200 eigenen Filialen existieren noch ca. 650 Partnerfilialen. Gerade am Anfang hat es ein starkes Filialwachstum gegeben, so dass man das Logo in den großen Städten gefühlt an jedem zweiten Häuserblock sah. Inzwischen hat auch da eine Konsolidierungswelle eingesetzt.
Die Nutzung des Dienstes Kantor verursacht keine monatlichen Kosten. Die Eröffnung erfolgte problemlos online, wenn man schon ein Konto bei der Alior Bank hatte oder über eine polnische PESEL (Personenidentifikationsnummer) verfügte. In den Bankfilialen soll dies auch ohne PESEL möglich sein, jedoch wird immer wieder davon berichtet, dass auf die PESEL vor Ort bestanden wird.
Die alte Kantor-Version erlaubte das Eröffnen von Konten in einer Hand voll Währungen (u.a. EUR, GBP, CHF und USD). Für EUR, GBP und USD ließen sich kostenlos jeweils eine eigene Debit Mastercard beantragen, die auch mit Google Pay und Apple Pay nutzbar sind. Die Karten waren kostenlos unter der Bedingung, dass sie innerhalb der ersten sechs Monate für mindestens eine Transaktion eingesetzt wurden. Geldautomatengebühren lagen bei zivilen 5 PLN. Jedes dieser Währungskonten verfügte über eine eigene IBAN.
Wer nun im Ausland in CHF, CZK, SEK oder was immer bargeldlos bezahlen wollte, kam mit den drei verfügbaren Karten allerdings nicht ohne Gebühren weiter. An der Stelle hat Revolut eine Menge Kunden in Polen überzeugen können.
Ein Vorteil von Kantor, bei dem Revolut allerdings absolut nicht mithalten kann: Man kann problemlos mit einem Umschlag voller Bargeld in eine Filiale gehen und dieses kostenfrei dort einzahlen. Genauso gibt es eine gut erreichbare telefonische Hotline inkl. englischsprachigen Mitarbeitern. Die Möglichkeit zur Bareinzahlung sollte man nicht unterschätzen, da in vielen Branchen (Bau, Gastro, Messe) Mitarbeiter gerne auch heute noch in bar bezahlt werden. Oder aber, wie bei mir, schon einige Male ein ausgemusterter Firmenwagen zum Verkauf anstand.
Guthaben auf den Kantor-Konten ließ sich kostenlos auf eigene Konten bei der Alior Bank überweisen. Überweisungen an Drittbanken und Drittempfänger waren innerhalb gewisser Kontingente, die von den jeweils umgetauschten Summen abhängen, ebenfalls kostenlos. So wollte man sich davor schützen, dass aus der Wechselstube ein Girokonto wird. Der Dienst eignete sich aber dennoch aus zum kostengünstigen Währungstausch zwischen bspw. einem EUR-Konto bei der mBank und einem PLN-Konto bei ebendieser. Die Aufschläge auf den offiziellen Wechselkurz sind unter der Woche minimal. Lediglich am Wochenende wird auch hier analog zu Revolut ein Puffer aufgeschlagen, der bei ca. 0,5% liegt.
Der neue Kantor
Mit dem Relaunch von Kantor hat Alior direkt einige Nervpunkte beseitigt. Zum Einen ist die Webseite jetzt responsive und kann problemlos auch mobil genutzt werden. Bislang musste man dafür auf eine spezielle Mobilversion wechseln, die aber nicht alle Funktionen bot. So fällt es nun auch nicht weiter ins Gewicht, dass die seit Langem stiefmütterlich behandelte Smartphone-App erst einmal nicht mehr unterstützt wird. Eine neue Version ist allerdings angekündigt.
Update 09.09.2019:
Inzwischen ist die App für Android und iOS verfügbar. Einen Darstellungsmangel der Webseite (Anzeige des Händlers bei Kartenzahlung nur in den Details) hat man in der App bereits beseitigt. Das Koppeln der App funktioniert über die Eingabe der CIF (Kundennummer), einer Sicherheitsfrage und einem SMS-TAN-Code.
Eine der größten Neuerungen ist aber die Einführung der Mehrwährungskarte „Karta Wielowalutowa“. Diese erlaubt Zahlungen in rund 160 Währungen, von denen aktuell 23 im Kantor direkt gehalten werden können. Erstmals hat man so auch die Möglichkeit, mit der Karte in PLN zu zahlen. Das ist in sofern ganz nett, als dass man bei „versehentlicher“ Nutzung von DCC im Ausland nicht gleich zweimal abgezockt wird.
Um die neue Karte zu beantragen, muss eine bisher in EUR ausgestellte Karte gesperrt werden. Danach kann die Karta Wielowalutowa neu beantragt werden. Evtl. andere noch vorhandene Währungskarten können ebenfalls gesperrt und vernichtet werden.
Neu ist auch, dass eine Bargeldabhebung am Automaten pro Monat weltweit kostenfrei ist. Für Leute, die auf Reisen oder bei berufsbedingten Aufenthalten im Ausland ihren Bargeldbedarf gut einschätzen können, ein nettes Goodie.
Alior wirbt darüberhinaus mit dem Chargeback-Service von Mastercard. Das ist in sofern interessant, als dass jeder Inhaber einer Mastercard das Recht hat, über sein kartenherausgebendes Institut unrechtmäßige Belastungen zurückzugeben. Darunter fallen auch Leistungsstörungen wie bspw. nicht gelieferte Ware etc. Gerade Revolut hat sich hier laut diverser Forenbeiträge in der Vergangenheit häufig ziemlich zurückweisend und uninteressiert verhalten, so dass der eine oder andere Kunde auch deswegen Revolut nicht mehr nutzt.
Fazit
Kantor ist sicherlich kein Dienst, den man mit Wohnsitz in Deutschland und ohne Bezug zu Polen normalerweise abschließen würde. Für gelegentliche Reisen in Fremdwährungsländer tut es jede Debit- oder Kreditkarte ohne Fremwährungsaufschlag, auch wenn natürlich die Möglichkeit interessant ist, sich mit PLN oder GBP einzudecken, wenn der Kurs niedrig liegt.
Interessant ist Kantor auf jeden Fall für Polinnen und Polen, die im Ausland leben oder phasenweise dort arbeiten.
Aber warum schreibe ich dann so ausführlich über etwas, was in Deutschland eher keine Relevanz hat? Ganz einfach: Ich finde es höchst interessant, dass sich eine ganz klassische Filialbank die Stärken eines Challengers wie Revolut abschaut und mit einem, für deutsche Verhältnisse, völligem Nischen- und Nerdprodukt durchaus etwas Ernstzunehmendes entgegenzusetzen vermag. Dort, wo bei Alior noch Gebühren für gewisse Dienstleistungen anfallen, machen sie es gleich mehrfach wett, indem sie ihren Kunden auch die klassischen Retailkanäle Telefon und Filiale bieten.
Ich warte ja noch auf den Tag, wo die erste deutsche Geschäftsbank das Thema Fremdwährungen für Privatkunden für sich entdeckt. Neben preislich zumeist unattraktiven Angeboten reduziert sich dies m.W. lediglich auf eine Hand voll Sparkassen, die in Grenzregionen Geldautomaten in der Währung des Nachbarlandes anbieten.
Aber auch der in Deutschland eher relevanten Smartphone-Bank N26 hat aktuell niemand aus der Riege der üblichen Verdächtigen etwas Vergleichbares entgegenzusetzen. Lebt yomo eigentlich noch?