7. Dezember 2024
Sumup 3G mit iPhone

Erstmals mehr Visa als girocard-Akzeptanzstellen in Deutschland

Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk und im Marketing ist gutes Timing alles. Aber das war schon eine kleine Sensation, was letzte Woche Schlag auf Schlag folgte.

Zunächst veröffentlichte die für das girocard-System zuständige EURO Kartensysteme am 13.02.24 ihre Zahlen für 2023 und konnte einen kräftigen Zuwachs vermelden: Transaktionen +11,5%, Zahlungsvolumen +7,1%, Kontaktlos-Anteil +4,9% auf jetzt 83,9%. Wichtig für die Situation am stationären POS ist natürlich auch die Anzahl der installierten Terminals. Die Zahl stieg von 1.046.000 auf nunmehr 1.132.000, was einen Zuwachs von stolzen 8,3% ausmacht.

Noch während die girocard-Kritiker das Haar in der Suppe der auf den ersten Blick respektablen Zahlen suchte, lieferte der hierzulande als Hauptwettbewerber geltende Technologiekonzern Visa nur einen Tag später einige seiner Zahlen für 2023: Zahlungsvolumen +25%, ausgegebene Debitkarten +33% auf nunmehr stolze 16 Millionen Karten.

Aber die wohl spannendste News war die Anzahl der in Deutschland am Visa-Netz angeschlossenen Terminals: +20% auf nun 1.270.000 Terminals und damit mehr, als an das girocard-System angeschlossen sind.

Um die Bedeutung der Zahlen zu verstehen, erst einmal ein wenig:

Hintergrund

Um als Händler an ein Kartenterminal zu gelangen, gibt es stark vereinfacht gesagt, drei Wege:

Bislang schlossen die meisten Händler einen Vertrag mit einem hiesigen Zahlungsdienstleister ab und mieteten sich von ihm ein klassisches Kartenterminal. Zu diesen Anbietern gehören Branchengrößen wie Concardis, Payone oder FIServ mit ihrer Marke TeleCash. Um diese Unternehmen herum ist ein riesiges Netzwerk von spezialisierten Resellern entstanden. Aber auch Banken und Sparkassen treten häufig als Reseller auf.

Wird ein neues Terminal in Betrieb genommen, so stellt der Netzbetreiber die Anbindung an das girocard-System sicher, in dem die Zahlungsanfragen an eine der Kopfstellen der jeweiligen Bankengruppen geroutet werden.

Idealerweise, aber leider nicht immer, hat der Händler zeitgleich einen Acquiring-Vertrag abgeschlossen. Dieser sorgt dafür, dass der Händler Zahlungen zumindest für die vier wichtigsten anderen Kartenarten: Visa, V Pay, Mastercard und Maestro akzeptieren kann.

Theoretisch stünde es dem Händler frei, seinen Vertrag über die Akzeptanz der internationalen Card-Schemes (ICS) mit einem beliebigen Dienstleister auszuhandeln. In der Praxis ist die Wahlfreiheit durch die Netzbetreiber eingeschränkt, die entweder selbst oder über präferierte Partner diesen Service anbieten und nur zu diesen ein Routing herstellen können/wollen.

Selbst wenn beide Verträge zeitgleich geschlossen wurden, so kann es doch sein, dass ein neues Terminal zunächst nur die girocard akzeptiert und bis zur Vollakzeptanz einige Wochen vergehen können.

Die zweite und immer beliebter werdende Möglichkeit sind die sog. mPOS-Terminals wie Sumup und Zettle. Hier bestellt man sein Kartenterminal einfach über eine Webseite oder kauft es gleich irgendwo im Handel. Selbst beim MediaMarkt hat man sie schon in der „Grabbelkiste“ für 19€ finden können. Das Onboarding ist extrem einfach online zu erledigen und benötigt nur wenige Minuten. Ab dann ist der Händler in der Lage die vier oben genannten internationalen Karten plus American Express zu akzeptieren. girocard-Kunden können an diesen Terminals über das sog. Co-Badge dennoch bezahlen und merken davon im Zweifel gar nichts.

Die dritte Möglichkeit ist bislang eher ein Exot. Internationale Unternehmen wie bspw. die niederländische Kette „Action“ oder der „Mode“-Händler Primark bringen einfach ihre Zahlungsanbieter mit auf den deutschen Markt. Auch hier gibt es keine native Akzeptanz der girocard. Vereinzelt stoßen inzwischen auch internationale Zahlungsanbieter wie das ursprünglich aus Dänemark stammende Unternehmen FlatPay auf den deutschen Markt, die ihre Dienste rein über die ICS anbieten.

Was bedeuten diese Zahlen also nun?

Auf jeden Fall bedeuten die Zahlen schon mal nicht das Ende der girocard. Aber, und das sollte man auf jeden Fall auf dem Schirm haben: Die Zeiten, an denen laut eigener Wahrnehmung der girocard Fanboys &- girls an der Akzeptanz der girocard kein Weg vorbei führte, sind eindeutig vorbei.

Im Grunde klingt die Situation paradox. Auf der einen Seite betreiben alle Markteilnehmer einen immensen Aufwand, um renitente Händler mit girocard-only Akzeptanz upzugraden und hören sich dabei häufig an, dass die ICS Debitkarten einfach zu teuer seien und die Kunden dann halt bar bezahlen oder die Bank wechseln sollten, während auf der anderen Seite das Neugeschäft anscheinend zu einem großen Teil dort stattfindet, wo die Gebühren meist um 1% bis sogar 2,75% (Zettle) für Kreditkarten liegen.

Wie passt das zusammen? Wie so häufig in solchen Fällen, ist es eine Frage der Perspektive. Bin ich Händler oder Gastronom, akzeptiere seit vielen Jahren nur die girocard und habe ein Terminal, welches mit dem Kassensystem verbunden ist, sehe ich auf den ersten Blick einmal nur die nackten Zahlen. Neben den Fixkosten für das Terminal fallen irgendwo zwischen 0,21% und 0,23% an variablen Kosten pro Zahlung an. Häufig verlangt der Anbieter noch einen Preis pro Transaktion zwischen fünf und acht Cent. Wer nicht gerade einen Durchschnittsbon von >100€ im Laden hat, versucht sich durch aushängende oder latent aggressiv vorgetragene Mindestumsätze davor zu schützen, für eine 1,50€-Zahlung sein Terminal aktivieren zu müssen.

Egal, wie nah ein Zahlungsdienstleister mit den Konditionen für die ICS an die eigene Schmerzgrenze geht, es wird immer eine gewisse Anzahl von Händlern geben, die erst Kunden verlieren müssen, bevor hier ein Umdenken stattfinden wird.

Auf der anderen Seite hingegen sind für Händler die erstmals Karten akzeptieren wollen gerade die Pauschalangebote ohne lange Laufzeiten verlockend. Da keine eigenen Erfahrungen mit der Kartenakzeptanz vorliegen, was bspw. den Anteil bargeldloser Zahlungen und die Höhe der Bons, ab der Kunden vermehrt zu Karte greifen angeht, mag man daher ungerne lange Verpflichtungen eingehen.

Wer ein Geschäft neu eröffnet, greift darüber hinaus heutzutage gerne zu Tablet-basierten Kassenlösungen die fast immer eine direkte Schnittstelle zu einem der mPOS-Anbieter wie SumUp mitbringen. Da liegt die Entscheidung nahe. Die Convenience überzeugt und wird höher gewertet, als der eine oder andere Euro an möglicher Ersparnis bei der Akzeptanz.

Wenn nun, was die Zahlen nahelegen, aber das Wachstum vermehrt dort stattfindet wo die Konditionen nur einen Teil der Entscheidungsfindung ausmachen, so muss man sich natürlich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, noch den letzten girocard-only Händler mit immer niedrigen Preisen überzeugen zu wollen oder ob man hier nicht ganz einfach auf den Faktor Zeit setzt und auf die Hartnäckigkeit der inzwischen 16 Millionen Inhaberinnen und Inhaber von Visa Debitkarten vertraut.

Meiner Meinung nach ist das eine durchaus schwierige Entscheidung, da von vielen Menschen die eine negative Erfahrung viel höher gewichtet wird, als hundert positive. Du kannst zig Mal am Kiosk, in der Pommes-Bude oder einem Café erstmals völlig problemlos mit deiner internationalen Debitkarte im iPhone bezahlt haben und dann kommt die Änderungsschneiderei, zu der du seit zwanzig Jahren deine Sachen trägst und dort heißt es dann „nur EC-Karten oder bar“. Der Ärger über den nicht eingeplanten Gang zum Geldautomaten trübt dann für viele den Gesamteindruck deutlich.

Von daher führt an einer Doppelstrategie des Gap-Closings im Terminalbestand auf der einen Seite und dem Akquirieren von neuen Akzeptanzstellen in bislang bargeldlastigen Branchen auf der anderen Seite kein Weg vorbei.

Folgen für Karteninhaber

Muss ich als Bankkundin oder Bankkunde nun fürchten, dass ich mit meiner girocard nicht mehr überall bezahlen kann? Hier muss man ganz klar sagen: Es kommt darauf an. Fast alle girocards sind mit einem weiteren Kartensystem, dem sog. Co-Badge ausgestattet. Akzeptiert das Kartenterminal keine Zahlungen via girocard, kommt automatisch das Co-Badge zum Einsatz. Als Kunde merke ich das nicht einmal. Lediglich auf dem Kartenzahlungsbeleg oder dem Kontoauszug steht dann ein anderer Text.

Es gibt aber Ausnahmen:

  • Mobile Payment: Ältere SparkassenCards mit Maestro oder V Pay Co-Badge stellen via Apple Pay oder der App Mobiles Bezahlen lediglich die girocard-Funktion zur Verfügung. Gleiches gilt für die digitale girocard der National Bank. Hier muss dann die physische Karte zum Bezahlen genutzt werden
  • Neue girocards bspw. der Comdirect tragen kein Co-Badge mehr, da hier die Visa-Karte das präferierte Zahlungsmittel ist
  • Karten die bspw. im Rahmen sog. „P-Konten“ ausgegeben werden, können u.U. kein Co-Badge enthalten

Wer, wie ich, meistens nur wenig oder gar kein Bargeld mit sich herumschleppt, sollte schon darauf achten eine Karte bei sich zu haben, die über mehr als nur die girocard-Funktion verfügt. Sonst ist der Gang zum Geldautomaten schneller angesagt, als einem lieb sein kann.

Fazit

Die Zeiten, in denen die internationalen Kartenanbieter in Deutschland in Sachen Akzeptanz weit abgeschlagen hinten lagen, sind nicht nur seit Jahren vorbei. Inzwischen gibt man bei der Gewinnung neuer Händler den Ton an. Die Stakeholder der girocard sollten dessen sich bewusst sein, dass mit dem vielfach anstehenden Generationenwechsel in den Unternehmen auch ein Mentalitätswechsel einhergehen kann. Nur billig zählt irgendwann nicht mehr.

Marc-Oliver Schaake

Lotus / IBM / HCL Notes Professional Mag Reisen mit dem Zug, insbesondere mit Nachtzügen Kartenzahler seit 1987

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2 Gedanken zu “Erstmals mehr Visa als girocard-Akzeptanzstellen in Deutschland

  1. Sicher, dass das mit Action stimmt.
    Ich konnte dort vor Kurzem mit der Comdirect Girocard bezahlen.
    Die Zahlung wurde nicht per ELV abgewickelt.

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