Wer in den Niederlanden mit dem ÖPNV unterwegs ist, kommt eigentlich kaum um die sog. „OV chipkaart“ herum. Dabei handelt es sich um eine Mifare Classic-kompatible Karte, über die die Fahrten abgerechnet werden. Personalisierte Karten können darüber hinaus auch personengebundene Rabatte und bspw. Monatskarten auf dem Chip tragen. Wahlweise kann auf einer solchen Karte ein Guthaben („Reizen op saldo“) zur Zahlung benutzt werden oder bspw. via NS Flex-Abo monatlich vom Konto abgebucht werden.
Papiertickets im sog. „Barsortiment“, so wie wir sie kennen, spielen seit Langem nur noch eine untergeordnete Rolle und das Angebot reduziert sich häufig auf Ein-Stunden-Tickets oder Tageskarten.
Die OV chipkaart gibt es auch in einer unpersonalisierten Version (ebenfalls) für 7,50€. Diese kann man bspw. in den Kundencentern der Verkehrsbetriebe, aber auch Tabak- und Zeitschriftenläden erwerben. Das lohnt sich immer dann, wenn man häufiger im Land unterwegs ist. Wer alle fünf Jahre mal für ein Wochenende nach Amsterdam reist, für den stellt ein solches Systeme eine Barriere dar.
Die Niederländer stehen bekanntermaßen auf Effizienz und haben dabei im Gegensatz zu den Deutschen weniger Berührungsängste mit moderner Technologie. So hat man schon vor mehreren Jahren erkannt, dass man sich mit einem geschlossenen Bezahlsystem so schnell nicht von den alten Papiertickets lösen kann. Damit muss man jedoch für den Vertrieb dieser Tickets eine teuere Parallelinfrastruktur parat halten: Fahrkartenautomaten an vielen Haltestellen und Fahrzeugen, sowie ggf. den Verkauf an Bord durch Personal organisieren.
Gleichzeitig ist die Technologie hinter der OV chipkaart (Mifare Classic) in die Jahre gekommen und gilt nicht mehr als sicher. Daher gab es seit einigen Jahren Bestrebungen und Pilotversuche, die Bezahlung von Tickets mit einem Open Loop-System auf Basis von Debit- und Kreditkarten umzustellen. Da es immer wieder Rückschläge gab, verzögert sich die landesweite Einführung erneut. Inzwischen gibt es aber eine ganze Reihe von Regionen, in denen das neue System bereits jedermann zur Verfügung steht.
Zunächst werden sich nur nicht rabattierte Fahrten auf Basis der bekannten Kilometertarife mit Bankkarten lösen können. Es ist aber geplant, dies in Zukunft auch auf andere Produkte zu erweitern. Weiterhin soll es eine Neuauflage der OV chipkaart auf Basis der EMV-Technologie geben, was das System sicherer und, perspektivisch gesehen, auch günstiger.
Anlässlich eines Kurzurlaubs in Scheveningen/Den Haag über Silvester, möchte ich Euch nun das System kurz vorstellen.
Der erste Checkin
In Den Haag Centraal angekommen, kämpfte ich erst einmal wieder das übliche Spiel mit dem DB Navigator und der Bahnsteigsperre. Dort muss man zum Verlassen den Barcode des Bahntickets scannen, wobei sich auf dem iPhone bei Annäherung an den Scanner Apple Pay über den Barcode legt. Der Fehler wird seit Jahren regelmäßig an die DB gemeldet, ohne dass sich was tut. Aber genug geschimpft. Auf zur Straßenbahn.
Das Setup für meinen Test besteht aus einem iPhone 12 Pro und einer digitalen SparkassenCard 2.0 mit girocard und Debit Mastercard als Co-Badge. Ich habe mich bewusst für die Co-Badge-Karte entschieden, um deren Kompatibilität abseits der üblichen Kartenterminals weiter zu testen. Schließlich dürften in Zukunft mehr deutsche Besucher mit genau dem Kartentyp hier unterwegs sein.
Gefühlt dauert der Check-in einen Ticken länger, als bei der Nutzung der OV chipkaart. Dieser wird wie üblich mit einem Biep und grünen Haken am Terminal quittiert. Zusätzlich zeigt das iPhone eine Transaktion via Apple Pay über 0,00€ an. Die kryptische Händlerkennung ist jeweils individuell und kann nach Abschluss der Buchung dazu benutzt werden, diese Karte mit einem Account in der OV pay-App zu verbinden. Dort kann man dann seine getätigten Fahrten einsehen.
Wichtig noch zu wissen: Der Check-in und der Check-out müssen mit derselben (digitalen) Karte vorgenommen werden. Die Karte im iPhone, in der Watch und das Plastik werden als drei verschiedene Karten behandelt.
Der „Rapid Transit“-Mode (von der SparkassenCard 2.0 nicht angeboten) funktioniert übrigens noch nicht. Hierbei handelt es sich um die Möglichkeit der Nutzung einer ausgewählten Karte in Apple Pay, ohne zuvor das iPhone zu entsperren.
Die App zu OVpay
Aktuell befindet sich die App noch im Testbetrieb. Für iOS-Geräte bedeutet das, dass man diese über Testflight herunterladen und installieren muss. Das ist aber kein großer Akt. Die entsprechenden Links für iOS und Android findet ihr hier.
Nach der Installation erstellt man sich einen Account in der App. Zum Hinzufügen einer Karte benötigt man zunächst eine erfolgreiche Belastung seiner Karte mit dem neuen System. Im Feld „Händlername“ steht eine Kennung, die mit „OVNL“ beginnt. Diese gibt man bei der Registrierung samt dem Betrag der Abbuchung ein. Damit ist diese Karte mit der App verbunden.
Im Gegensatz zu TfL in London, werden verschiedene virtuelle Versionen der gleichen Karte, also bspw. auf dem iPhone oder der Apple Watch, im Backend als separate Karten behandelt. Leider unterstützt die App in der aktuellen Testflight-Version auch nur eine Karte. Ich hoffe, dass das noch angepasst wird. Die UI-Elemente dafür scheinen jedenfalls in der App vorhanden zu sein.
Nach erfolgreicher Registrierung lassen sich die Fahrten live verfolgen. Auch sieht man, ob man mit der betreffenden Karte bereits eingecheckt ist. Das kann z.B. passieren, wenn man irgendwo vergessen hat, auszuchecken. Dann wird automatisch ein Betrag geblockt. Bei HTM sind dies 4€. Nach einer Weile erkennt das System den verpassten Checkout. Dieser lässt sich einige Tage später in der App korrigieren.
Die Korrektur ist nach Ablauf der Wartefrist recht einfach. In einer Listbox werden alle Haltestellen der betreffenden Linie angezeigt und man wählt seine Ausstiegshaltestelle aus. Im Falle eines versehentlichen Check-in einfach die gleiche Haltestelle noch einmal.
Fehlgeschlagene Abbuchung in der Nacht und neuer Einzug beim Einstieg
Gegen 04:15 sollten dann die ausstehenden 1,77€ als verzögerte Transaktion belastet werden. Diese wurde aber aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Am nächsten Morgen rechnete ich eigentlich schon damit, dass die Karte für die Verwendung von OVpay gesperrt sein würde. Stattdessen wurden beim Check-in genau die 1,77€ vom gestrigen Tage autorisiert und dem dahinter liegenden Girokonto belastet.
Das gleiche Spiel wiederholte sich am Folgetag. Während der offene Saldo vom Vortag beim Check-in mit Apple Pay eingezogen wurde, ließ sich nachts der neue Saldo nicht einziehen. Ich habe das dann aus Neugier noch einmal mit der Plastikkarte probiert. Das funktionierte dann einwandfrei. Offensichtlich gibt es hier ein Problem mit der zeitverzögerten Transaktion via Apple Pay.
Da ich am Samstag nicht mit Apple Pay eingecheckt, und den offenen Saldo durch den Check-in ausgeglichen habe, wurde die Karte am Sonntag früh als gesperrt gemeldet. Mit einem neuen Check-in wurde wiederum der offene Saldo eingezogen und der Check-in positiv quittiert. Der Hinweis in der App, dass spätestens 15 Minuten nach Ausgleich der Check-in wieder möglich sei, war dann doch etwas pessimistisch formuliert.
Am Ende wurde übrigens die offen stehende Transaktion durch einen „normalen“ Einzug via Debit Mastercard erfolgreich durchgeführt. Als verwendete Karte zeigt das Onlinebanking die Kartenfolge-Nummer der Plastikkarte an.
Fazit
Gerade für Gelegenheitsreisende, und damit auch für Touristen, ist OVpay ein riesiger Schritt nach Vorne. Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass solange sich keine Tageskarten und ähnliche Angebote auf die Karte laden lassen, man recht schnell an den Punkt kommt, an dem man draufzahlt.
Die Probleme mit Apple Pay sollte man aber unbedingt in den Griff bekommen. Das führt ansonsten nur zu erhöhtem Supportaufwand und Frust bei den Reisenden.
Ich hoffe jedoch sehr, dass auch bald die restlichen Verkehrsbetriebe, vor Allem die Niederländischen Eisenbahnen, das System live nehmen.
Ein Gedanke zu “OVpay im Test: Niederlande stellen auf Open Loop-Payment im ÖPNV um. [Update]”
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