23. Januar 2025
Lidl

Kommentar: Warum die aktuelle girocard-Kampagne völlig skurril und kontraproduktiv ist

Dem einen oder anderen wird sie irgendwie in den sozialen Netzen bereits begegnet sein: Die aktuelle girocard-Kampagne, die unter dem Motto „Spare kleinen Geschäften große Gebühren“ steht. Wer noch keinen dieser Clips gesehen hat, für den habe ich hier einmal ein Beispiel aus YouTube verlinkt:

Was auf den ersten Blick, je nach Geschmack, witzig oder auch ein wenig creepy daherkommen mag, hat trotz der auf den ersten Blick verständlichen Message ein paar Denkfehler.

Der Kunde soll es richten

Dass ich der Betreiberin meines Lieblingsbistros oder dem kleinen Handwerkerbetrieb um die Ecke nicht unbedingt unnötige Kosten verursachen möchte, ist gerade in Zeiten in wie diesen erst einmal ein guter Anknüpfungspunkt. Dafür haben die meisten Verständnis und würden das Anliegen unterstützen, insbesondere wo bei vielen Menschen die Urban Legend „Kreditkarte = teuer“ immer noch stets im Kopf herumgeistert.

Wer, so wie ich, über verschiedene Debit- und Kreditkarten, darunter auch eine girocard verfügt, der könnte also dazu animiert werden, Bezahl-Entscheidungen bewusster zu treffen. Und natürlich haben die Macher da auch einen Punkt: Man muss gerade bei kleinen Betrieben nicht unbedingt die meist teurere Amex-Karte zücken, nur weil man für den Einkauf den Gegenwert von ein paar Cent in Membership Rewards erhält.

Jetzt ist es aber so, dass es diese „freie Entscheidung“ häufig nicht gibt oder mir als Kunden gewisse Freiheiten nimmt. Nicht alle Banken geben heute eine girocard an ihre Kunden heraus. Andere machen die girocard zum kostenpflichtigen Extra. Erwarten die Macher des Clips, dass wir Bürgerinnen und Bürger nun massenhaft von den pösen Internet-Banken zu Sparkassen und Volksbanken zurückkehren?

Ähnlich sieht es aus, wenn wir über Mobile Payment sprechen. Die Verfügbarkeit der girocard auf Smartphones und Smartwatches ist immer noch sehr begrenzt, auch wenn bspw. vor einigen Wochen die Commerzbank nachgezogen hat.

Sollen weite Teile der Bankkundinnen und Bankkunden also auf Mobile Payment verzichten und stattdessen stets ein Portemonnaie mit einer Plastikkarte mitschleppen?

Die richtigen Adressaten wären hier eindeutig die kartenherausgebenden Banken: Wer die girocard fördern möchte, der sollte zunächst einmal dafür sorgen dass das Produkt auch entsprechend im eigenen Haus umgesetzt wird und nicht nur als Notfall-Karte daherkommt.

Gebührenmodelle im SMB-Bereich

Die Kampagne krankt aber noch an einer ganz anderen Stelle. Während große Handelsketten die einzelnen Gebührenbestandteile einer Kartenzahlung zu Gesicht und entsprechend in Rechnung gestellt bekommen, sind gerade im SMB-Bereich Preismodelle weit verbreitet, die lediglich zwischen Debit- und Kreditkarten unterscheiden oder direkt ganz darauf verzichten, getrennte Preise auszuweisen.

In den Clips werden dann passenderweise auch gleich die Branchen (Imbiss, Café, Späti/Kiosk) gezeigt, in denen sehr häufig die kleinen mPOS-Terminals von SumUp zu finden sind. Mal ganz abgesehen davon, dass diese Terminals die girocard nicht nativ unterstützen und Zahlungen stattdessen über das sog. Co-Badge abgewickelt werden, handelt es sich bei diesen Anbietern übrigens nicht um echte Preisführer. Wer ein wenig vergleicht, kann bei klassischen Dienstleistern durchaus Geld sparen.

Was SumUp und Co. aber besonders gut können, ist das Thema Convenience. Das fängt beim Kauf des Terminals und dem Onboarding an, geht über die mitgelieferte Software und Schnittstellen zu bspw. iPad basierten Kassensystemen weiter.

Werbung mit Vorurteilen schadet der Branche insgesamt

Wenn sich ein großer Teil der Betriebe in den gezeigten Branchen offensichtlich aus Convenience-Gründen für Zahlungsanbieter entscheidet, die weder die girocard unterstützen, noch unbedingt die billigsten am Markt sind, warum soll ich mich als Karteninhaber dann in meiner Convenience einschränken und nicht meine Apple Watch zum Bezahlen mit meiner Visa Debit-Karte nutzen? Die Antwort darauf bleiben die Clips leider schuldig.

Offensichtlich sind den Machern der Kampagne als einziges Argument für das eigene Produkt die vermeintlichen Kosten eingefallen und man hat sich dafür ausgerechnet die Branchen ausgesucht, die häufig die girocard links liegen lassen. Andererseits wäre es auch sicherlich komisch gekommen, wenn Herr Schwarz von Lidl & Schwarz um Zahlung mit der girocard gebettelt hätte.

Werbung, die lediglich auf den Preis abzielt, ist per se schon immer schwierig gewesen. Hier kommt allerdings noch hinzu, dass sich ein Teil der Clips (nicht alle, siehe unten) an Endkunden richtet, die im Zweifel von einer Verhaltensänderung keinerlei Vorteil zu erwarten hätten.

Aus Branchensicht finde ich es dazu höchstproblematisch, dass man sich dazu entschlossen hat, das alte Vorurteil der teuren Kartenakzeptanz zu bedienen, denn was will man damit eigentlich erreichen? Dass sich Händler dazu entschließen, ihre Acquiringverträge zu kündigen und nur noch girocard akzeptieren? Dass man sich als Kunde an der Kasse dafür rechtfertigen muss, Kunde einer Direktbank zu sein und nicht einen Euro pro Monat für eine Karte ausgeben möchte, die man alle drei Monate mal benötigt?

Eigentlich täten alle Akteure aktuell gut daran, das durch die Covid-Pandemie ausgelöste Momentum zu nutzen und insgesamt für mehr Kartenakzeptanz zu sorgen. Weiße Flecken gibt es noch genug. Da braucht man nur einmal auf den örtlichen Weihnachtsmarkt schauen.

Marc-Oliver Schaake

Lotus / IBM / HCL Notes Professional Mag Reisen mit dem Zug, insbesondere mit Nachtzügen Kartenzahler seit 1987

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2 Gedanken zu “Kommentar: Warum die aktuelle girocard-Kampagne völlig skurril und kontraproduktiv ist

  1. Bei Zahlung mit Girocard besteht auch immer die Gefahr, dass man eine Lastschrift untergeschoben bekommt (ELV). Ich möchte meine IBAN jedoch nicht unnötig an Händler oder deren Zahlungsdienstleister verteilen, da eine IBAN – im Gegensatz zu einer Kartennummer – nur relativ aufwändig zu ändern ist. Daher zahle ich mit MC/Visa.
    Girocard wird für mich erst akzeptabel, wenn es mal eine Version gibt, auf der meine Kontonummer nicht gespeichert ist (und die somit auch kein ELV kann).

    1. ELV nervt mich höchstens in sofern, als dass es nicht in der Apple Wallet auftaucht und man u.U. am nächsten Banktag eine Abbuchung einer „Karl Müller GmbH“ sieht und es mit der „Bäckerei Körnerglück am Bahnhof“ in Verbindung bringen muss. Die IBAN erhält eh jeder, dem man Geld überweist oder der Lastschriften zieht. Das kann ich so absolut nicht nachvollziehen.

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